Interview mit Tobias Dingler
„Andere Länder trennen nicht zwischen Kunst und Kunsthandwerk“
Herr Dingler, wie viel Wertschätzung erfährt das Kunsthandwerk in Deutschland?
Dingler: Die Wertschätzung des Kunsthandwerks ist in Deutschland so unterschiedlich wie diese breit differenzierte Branche selbst. Ausstellungen wie die ORIGINALE erfahren bei einem speziell interessierten Publikum durchaus Interesse und Wertschätzung. In der Unterstützung durch die Politik bleibt unser Engagement jedoch leider außen vor, da das Kunsthandwerk nicht als Teil von Kunst und Kultur betrachtet wird, sondern allenfalls als heute relativ unbedeutender Teil unter die Wirtschaftsförderung fällt.
Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Dingler: In anderen Ländern gibt es oft nicht diese Trennung von Kunsthandwerk und Kunst. In Japan werden herausragende Künstler zu Lebzeiten schon mit hohen offiziellen Auszeichnungen geehrt. Dies findet in Deutschland allenfalls durch die Museen statt, wenn ein Künstler meist posthum durch eine Retrospektive geehrt wird.
Was unterscheidet Kunsthandwerk von Angewandter Kunst?
Dingler: Das ist zunächst eine Frage der Begriffsdefinition, welche an dieser Stelle hier zu weit führt, da sowohl in der Umgangsprache wie in der kunsthistorischen Betrachtung die Begriffe stets mit einer großen Bandbreite und der entsprechenden Unschärfe ausgelegt werden. Aus der Sicht der ORIGINALE sprechen wir von Angewandter Kunst, da wir hohen Wert auf die gestalterische Qualität und Originalität der Arbeiten legen. Die gezeigten Arbeiten zeichnen sich jeweils durch den eigenständigen künstlerischen Impuls aus, hinter jeder Präsentation und jedem Werk steht ein Mensch mit seiner Intension. Die Umsetzung ist jedoch sehr unterschiedlich und liegt in unterschiedlicher Gewichtung zwischen den drei Polen Handwerk, Kunst und Design. Es sind sowohl dem gestaltenden Handwerk angelehnte Arbeiten vertreten, aber ebenso Ansätze der freien Kunst ergänzt durch Designkonzepte. Somit neige ich dazu, in unserem Fall das Kunsthandwerk als Teil der Angewandten Kunst zu bezeichnen.
Verstehen Sie sich als Bewahrer von Handwerkskunst?
Dingler: Selbstverständlich ist in meiner Arbeit handwerkliches Können sehr wesentlich. Wie viele Kollegen in diesem Bereich habe ich mich spezialisiert auf Techniken, welche mir geeignet erscheinen, meine Ideen umzusetzen. Und darum geht es letztlich: die Handwerkskunst bietet mir die Mittel mich auszudrücken, sie ist niemals Selbstzweck. Als Bewahrer dieser Kunst sind Kunsthandwerker meist oft zu spezialisiert, interessanter ist der Aspekt von möglichen Innovationen, welche durch unkonventionelle Herangehensweise entstehen, also eher „Erneuerer“ der Handwerkskunst.
Ist das Kunsthandwerk eine zu Unrecht vergessene Kunstform, die von den Kunstkritikern ignoriert wird?
Dingler: Erfreulicherweise gibt es immer mal wieder zarte Ansätze der Kunstkritik, genreübergreifend zu denken. Schlimmer finde ich die Angewohnheit mancher Kritiker „kunsthandwerklich“ als Negativmerkmal in der Betrachtung von Kunst zu missbrauchen.
Wird in Zeiten des Digitalen das Haptische wichtiger?
Dingler: Sicher besteht ein Unterschied zwischen der die physisch erlebbaren Qualität und dem Abbild oder rein virtuellen Inhalt. Es wird jedoch nicht nur das Haptische wichtiger, sondern alles was den persönlichen Kontakt und die respektvolle Begegnung fördert. Auch ein Gegenstand oder Werk der Angewandten Kunst ist völlig wertlos und nutzlos, wenn es nur ungenutzt in einem Archiv aufbewahrt wird.